Der Mensch im Quadrat | geberit.de

Der Mensch im Quadrat Von kleinkariert bis selbstbewusst

Kaum eine geometrische Form verkörpert den Menschen so sehr wie das Quadrat

Der Mensch im Quadrat
Modulor von Le Corbusier

Beginnen wir mit einem simplen Fakt: Es gibt keine Quadrate in der Natur. Punkte, Linien, Dreiecke, Fraktale – unzählige Formen haben wir uns in der Welt abgeschaut. Doch das Quadrat ist das reine Ergebnis menschlicher Logik. Es ist hausgemacht. Wenn die Natur ihre Formenvielfalt mit dem Kreis perfektionierte, so kommt der Mensch mit dem Quadrat diesem ziemlich nahe. Eine Einigung zwischen den beiden Formen gelingt uns dennoch nicht. Die Quadratur des Kreises: unmöglich. Trotzdem ist es vor allem in der Gestaltung eine äußerst runde Sache.

Im Quadrat steckt nicht nur unser Geist, sondern auch unser Körper. Bereits Vitruv, ein römischer Architekt der Antike, konnte es sich nicht verkneifen, den Menschen in eine quadratische Box zu stecken. Der Vitruvianische Mann wurde in der Renaissance wiederentdeckt und von Leonardo da Vinci zum Posterboy gemacht. Doch sein mürrischer Blick verrät: Er muss sich schon sehr strecken, um in das gedachte Ideal der Architekten zu passen. Auch Le Corbusier erklärte unsere Proportionen in seinem Modulor wieder mit dem Quadrat. Ist der Mensch nun wirklich aufgebaut auf quadratischem Maß? Oder ist es das Denken im Quadrat, das so durch und durch menschlich ist?

Der Mensch im Quadrat
Der Mensch im Quadrat
Quadratisches Fliesenraster

Fest steht: Das Quadrat ist absolut. Sinnbild unseres menschlichen Ordnungszwangs. Flächen in quadratischen Einheiten zu messen hat sich durchaus bewährt. Ikonen wie Mies van der Rohe oder Oswald Mathias Ungers stützten ihre bekanntesten Bauten auf die Kraft des Quadrats. Es strahlt Ruhe aus, steht stabil an Ort und Stelle, ist niemals fragil und nur selten wuchtig. Man könnte meinen, es sei selbstbewusst und seriös. Da es in keine Richtung strebt, ist es in der Gestaltung ein nahezu neutrales Element. Soll eine bestimmte Struktur, Schrift oder Farbe zu Geltung kommen, eignet es sich deshalb bestens als Träger. Vom Pixel zum Logo – gutes Design wäre ohne diese zeitlose Form nahezu undenkbar.

Sein wahres Talent zeigt sich jedoch in der Vielzahl – in Form des Rasters. Quadratraster wurden bereits im antiken Ägypten genutzt, um Motive auf die Wand zu übertragen. Ein feines Mosaik hat sich im Sanitärbereich als elegantes Raster bewiesen – zugleich auch andere Fliesenformate größtenteils auf quadratischen Proportionen basieren. In der traditionellen japanischen Architektur dagegen wird der Boden mit Tatamis ausgelegt. Die dämpfenden Strohmatten haben das Format zweier aneinandergefügter Quadrate und dienen als Flächenmaß. Verschiedene Kombinationen der Matten bestimmen die Raumdimensionen und letztlich die Gestalt des Gebäudes. Modulare Bausysteme sind ohne Quadrate nahezu undenkbar, ganz gleich, ob als Fassadenelement oder Solarpanel. Aus der Vogelperspektive erkennen wir ganze Stadtviertel wie Eixample in Barcelona, aufgebaut auf quadratischem Raster. Egal in welcher Größenordnung – das Quadrat erweist sich in der Planung als äußerst praktisch.

Der Mensch im Quadrat

Doch jede noch so smarte Form hat auch ihre Ecken und Kanten. An einen quadratischen Tisch passen weniger Leute, als an einen runden Tisch gleicher Größe. Die quadratische Duschwanne ist eine platzsparende Lösung – in der Badewanne gleichen Formats liegt man jedoch ähnlich unbequem wie der Vitruvianische Mann. Auch Dynamik im Quadrat ist knifflig: Kompositionen innerhalb dieser Form wirken oftmals gedrungen, denn die Linien können nicht weit laufen. Dementsprechend lädt auch ein Raum mit quadratischem Schnitt kaum zur Bewegung ein. Er kann einerseits ruhig und in sich zentriert wirken – andererseits kann diese Ruhe bei schlechter Gestaltung auch leicht ins Ausdruckslose kippen. Rechtecke dagegen regen aufgrund langer Seiten eher zur Bewegung an und lassen den Blick in den Raum hineinwandern.

Die offensichtlichste Erscheinung des Quadrats in der Architektur ist der Würfel. Im Spiel steht er für den Zufall, doch in der Architektur für Rationalität und Strenge. Den White Cube kennen wir als Inbegriff für ein möglichst neutrales Ausstellungskonzept, auch wenn der Raum meist gar kein Würfel ist. Science-Fiction Fans kennen den Borg-Kubus als Symbol des emotionslosen Bösen. Auch im Kultfilm »The Cube« steht der Würfel für eine Architektur des Grauens, aus der die Mathematik der einzige Ausweg ist. Könnte dies ein diskreter Hinweis sein, dass sich Architekt*innen ein wenig vor ihm fürchten? Ein Hauch von Ehrfurcht vor diesem Körper schwingt scheinbar immer mit. Oft umgibt ihn eine erhabene, nahezu sakrale Aura. Er steht fest wie ein unverrückbarer Monolith. Es wird kaum Zufall sein, dass im Zentrum der islamischen Welt, mit der Kaaba ein nahezu würfelförmiges Heiligtum steht.

THE CUBE, Berlin

Zugegeben, zu behaupten das Quadrat sei in der Welt der Gestaltung heilig, ist ein wenig übertrieben. Doch die Ordnung die darin steckt und von ihm ausgeht, hat etwas nahezu Spirituelles – ganz ohne esoterischen Beigeschmack. Eine Form, so mächtig wie unser Verstand, die uns gleichzeitig um den Verstand bringt. Malewitsch schuf schließlich mit einem simplen schwarzen Quadrat den wohl radikalsten Umbruch in der Kunstgeschichte. Seitdem ist nichts mehr, wie es vorher einmal war.

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