Digitalisierung im Bad | geberit.de

"Im Bad sehe ich das größte Potenzial für eine weitere Digitalisierung"

In der vertrauten Umgebung und in der Nähe lieber Menschen wohnen: so stellen sich viele einen gelungenen Lebensabend vor. Moderne Technik und künstliche Intelligenz können diesen Traum auch dann möglich machen, wenn im Alter der Weg in ein Seniorenheim eigentlich unvermeidbar wäre. Das Marktpotenzial von sogenannten “Ambient Assisted Living”-Systemen, die meist ältere Menschen im täglichen Leben durch intelligente Technik unterstützen, ist gigantisch: Der demografische Wandel verändert unser Land. Im Jahr 2035 wird Deutschland eine der ältesten Bevölkerungen der Welt haben. Mehr als die Hälfte der Menschen wird dann 50 Jahre und älter, jeder dritte Mensch älter als 60 sein. Wie Technik unser Leben im Alter vereinfachen kann, erforscht Florian Kirchbuchner, Leiter der Abteilung Smart Living & Biometric Technologies am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD. Im Interview erklärt er, warum das Badezimmer dabei eine zentrale Rolle spielt.

Digitalisierung im Badezimmer

Wie Technik unser Leben im Alter vereinfachen kann, erforscht Florian Kirchbuchner, Leiter der Abteilung Smart Living & Biometric Technologies am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD. Im Interview erklärt er, warum das Badezimmer dabei eine zentrale Rolle spielt.

Herr Kirchbuchner, wie möchten Sie im Alter leben?

So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden. Bis es soweit ist, wird die Technik noch ein paar Sprünge gemacht haben, hoffe ich, aber auch heute sind wir schon weiter, als viele wissen. Mit meinem Wunsch, so lange wie möglich selbstbestimmt in einer vertrauten Umgebung zu wohnen, bin ich übrigens kein Einzelfall, Millionen von Menschen geht es ähnlich, und ich sehe nicht, dass sich an diesem Trend etwa ändert. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen erforsche ich deshalb vor allem, wie wir die klassische Pflege mit intelligenten Mitteln unterstützen können.

Kann Technik den Pflegemangel lindern?

Ur-menschliche Aufgaben wie ein gutes Gespräch oder eine Hand auf der Schulter wird die Technik nie übernehmen können, darum geht es aber auch gar nicht, ganz im Gegenteil. Wenn es uns gelingt, die Prozesse in der Pflege zu optimieren, bleibt mehr Zeit für den Menschen. Unser Leitspruch ist: Wir wollen nicht die Pflege durch einen Roboter ersetzen. Wir wollen den Roboter aus dem Pfleger holen, das heißt: Die Pflegekraft soll das tun, was sie am besten kann, pflegen - und zum Beispiel weniger dokumentieren müssen, was sehr zeitaufwendig ist.

Was muss der Einzelne mit seinem Haus oder seiner Wohnung anstellen, um im Alter vorbereitet zu sein?

Wir denken nicht vom Haus aus, sondern vom Quartier. Nehmen Sie die immer zahlreicher werdenden Wohnanlagen, in denen viele alleinstehende Senioren leben. Wäre es nicht praktisch, die Pflege dort dezentral zu organisieren und so den Bewohnern zu ermöglichen, in ihren Wohnungen zu bleiben? Vor Ort gibt es dann eine Anlaufstelle, von der aus die Betreuung ganz individuell organisiert wird. Heute funktioniert das oft noch ganz anders. Das meiste Geld in der Pflege bleibt auf der Straße, weil die Pflegedienste von Ort zu Ort hetzen, ganz gleich, ob das logistisch Sinn ergibt oder nicht.

Digitalisierung im Badezimmer
Digitalisierung im Badezimmer

Wie sieht eine gelungene Lösung aus?

In Halle an der Saale wird gerade eine Plattenbausiedlung mit 300 Wohnungen pflegegerecht umgestaltet. Es entsteht dort im Quartier ein Pflegestützpunkt, von dem aus die Betreuung organisiert wird. Die ehemalige Kaufhalle wird zu einem Sozialkaufhaus umfunktioniert. Ein eigenes Café dient als Treffpunkt für die Bewohnerinnen und Bewohner, gleichzeitig wird dort ein Sportangebot für Jugendliche ins Leben gerufen. So wird das Quartier auch für potenzielle Pflegekräfte attraktiv, die Arbeit und Leben verbinden können. Angeschlossen an den Pflegestützpunkt ist die technische Zentrale, an die alle Wohnungen angeschlossen sind. Die Seniorin oder der Senior von morgen kann dann in seiner Wohnung ein automatisiertes System haben, das sich an seine jeweiligen Bedürfnisse anpasst.

Wie funktioniert das?

Das System lernt KI-gestützt die Gewohnheiten und Vorlieben des Bewohners oder der Bewohnerin kennen. Mit einfachen Dingen beginnt es - nehmen Sie das automatische Licht beim nächtlichen Toilettengang. Das mag trivial erscheinen, wenn das System aber bemerkt, dass die Geschwindigkeit beim Weg ins Bad ungewöhnlich langsam ist und ich als Bewohner ein auffallendes Bewegungsmuster zeige, etwa immer im Kreis laufe oder gestürzt bin, dann kann ein System Alarm schlagen. Dann gibt es Systeme, die Heizung und Raumluft regeln, die beim Aufstehen helfen, an die Tabletten erinnern und die Vitalwerte erfassen. Helfen kann auch ein intelligenter Spiegel im Badezimmer, der automatisiert meinen Blutdruck, meine Temperatur und sogar meine Stimmung erfassen kann. Mikrobewegungen etwa können Aufschluss über Depressionen geben. Dann kann ich versuchen mit Farbakzenten positiv auf die Stimmung einzuwirken.

Das Badezimmer scheint beim Thema AAL eine wichtige Rolle zu spielen. Warum?

Im Bad finden die pflegerisch anspruchsvollen Tätigkeiten statt. Hier sehe ich auch noch das größte Potenzial für eine weitere Digitalisierung. Die intelligente Toilette mit automatisierten Auswertungen klingt noch nach Science-Fiction, könnte aber einen großen Nutzen entfalten. Auch Alltagsgeräte wie Zahnbürste und Fön können Daten liefern, die Routinen erfassen und den Gesundheitszustand überwachen können.

Sie beschreiben, wie sinnvoll es wäre, noch mehr Daten über das Leben hilfsbedürftiger Menschen zu sammeln. Müssen sie auf Datenschutz verzichten?

Alle diese Funktionen sind datenschutzkonform umsetzbar. Das Sammeln der Daten ist das eine, ihre Auswertung das andere. Hier greift die Datensicherheit. Wenn ich die Auswertung lokal durchführe und das System nur im Notfall Informationen nach außen gibt, etwa durch einen Telefonanruf, dann ist ich meine Privatsphäre gewahrt.

Sie beschreiben technische Lösungen, die so klingen, als würden sie am besten beim Bau der Wohnung oder des Hauses schon eingeplant. Das wird aber vermutlich nur in Ausnahmefällen der Fall sein. Wie gehen Sie damit um?

Ja, das ist das Schicksal von AAL-Systemen. Die eigenen vier Wände baut man in jungen Jahren, wenn die Pflegebedürftigkeit noch in weiter Ferne liegt. Zumal viele junge Bauherren ahnen, dass sich die Technik ständig neu erfindet und sie sich sorgen, Geld für überholte Assistenzsysteme auszugeben. Aber Nachrüsten ist eigentlich immer möglich. Und langsam aber sicher setzt sich auch bei jungen digitalaffinen Bauherren die Erkenntnis durch, dass sie gut daran tun, so früh wie möglich über das eigene Alter nachzudenken - und ihr Haus dafür vorbereiten.

Nutzen Sie selbst Assistenz-Systeme in Ihrem Alltag?

Mit vierzig bin ich noch nicht auf Pflege angewiesen, habe aber mein Zuhause digitalisiert, etwa die Heizungs- und Lichtsteuerung. Den klassischen Lichtschalter habe ich dann aber doch sehr vermisst und ihn wieder eingebaut.

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