Architekturfotografie von Eric Tabuchi | geberit.de

Kulturbaustellen Architekturfotografie von Eric Tabuchi

Der französische Fotograf Eric Tabuchi widmet sich der Kuriosität alltäglicher Architektur und sammelt alles, was Menschen bauen.

Ein Gastbeitrag von Dave Großmann

Fotografie aus dem Bildband "Atlas of Forms"

Warum bauen wir? Eine banale Frage, die sich nur scheinbar leicht beantworten lässt. Klar ist, jede Bausubstanz schützt – vor dem Wetter, vor der Dunkelheit oder anderen möglichen Gefahren. Doch wäre Schutz der einzige Grund, könnten wir uns vermutlich auf eine überschaubare Anzahl an Bauformen beschränken. Denn Architektur leistet viel mehr. Sie ist ästhetischer Ausdruck und hilft dabei, unsere eigene persönliche oder gar kulturelle Identität auszudrücken. Dabei muss es nicht immer gleich die Elbphilharmonie sein.

Fotografie aus dem Bildband "Atlas of Forms"

Könnte es sein, dass eine einsame Bushaltestelle am Stadtrand viel mehr über unsere Kultur verrät, als wir vermuten? Auf jeden Fall – so behauptet zumindest der französische Fotograf Eric Tabuchi. Entgegen jeglichem Hochglanz würdigt er gerade solche Gebäude, die wir stets ignorieren. Seine Bilder beweisen, wie faszinierend ausgerechnet das Alltägliche sein kann. Bonjour tristesse! Tabuchis Fotoprojekte zeigen alle Auswüchse des Bauens – sie rangieren von völlig absurd bis ungewollt elegant. Mit seiner Dokumentation führt er einen Ansatz fort, der für die Geschichte der Fotografie wegweisend war.

Schon Bernd und Hilla Becher fotografierten die verschwindende Industriearchitektur in Europa. Vor allem ihre Serie zu Wassertürmen konnte beweisen, wie stark selbst rein funktionale Architektur von kulturellen Eigenheiten geprägt ist. Sie zeigten unzählige Variationen eines recht simplen Turms und konnten somit einen unterschwelligen Gestaltungsdrang im Ingenieurwesen belegen. Eric Tabuchi knüpft dort an und erweitert das Feld um heutige Konsum- und Erlebnisarchitektur wie Clubs, Einkaufszentren, Schnellrestaurants oder um kaum beachtete Infrastruktur. Jenen Bauten, die zunehmend an den Rand großer Städte verdrängt werden bzw. ganz verschwinden. Dabei geht er systematisch vor und sortiert diese nach Archetypen: „Im Grunde versuche ich alles was Menschen bauen zu klassifizieren, um die enorme Komplexität der Welt verständlicher zu machen“.

Auf diese Weise entstand der »Atlas of Forms«, sein erstes großes Gesamtwerk. Der Bildband mit über 1.500 Fotografien ist eine wahre Fundgrube für Architekturliebhaber. Neben seinen eigenen Bildern besteht dieser fast ausschließlich aus Fotos, die Tabuchi über mehrere Jahre im Internet sammelte. Vorwiegend handelt es sich hierbei um Bilder, die von anonymen Arbeitern zur Dokumentation der Baustellen angefertigt wurden. Da die meisten davon unprofessionell aufgenommen wurden, bearbeitete Tabuchi sie gleichermaßen. Indem er die Perspektiven begradigte und die Farbgebung korrigierte, konnte er eine durchgängige Ästhetik schaffen, die den Standards der Architekturfotografie entsprechen. Das Ergebnis ist äußerst mysteriös: einerseits einheitlich – im Gesamteindruck jedoch völlig heterogen.

Im Gegensatz zu den dramatischen Darstellungen eines Architektur-Portfolios, strahlen diese gesammelten Bauten in einer nüchternen Sachlichkeit. Die Fotos haben nichts künstliches und zeigen die reine Form – ohne Menschen, an verlassenen Orten, vor verhangenem Himmel. Eine bedrückende Stimmung liegt über den Bildern und betont das Geisterhafte der dargestellten Architektur. Eben noch Baustelle und doch fast schon Ruine – dem Verschwinden nahe. Auffällig sind die Gebäude nach Grundformen sortiert, wie etwa Pyramiden, Zylindern, Kugeln. Nahezu jedes Bauwerk präsentiert sich hier wie eine einzigartige Skulptur. Während manche Motive nicht unbedingt nennenswert erscheinen, ist es das Gesamtwerk, das jedes einzelne Bild dennoch interessant macht. So enthüllt der Atlas eine verrückte Vielfalt des Bauens, die es für bestimmte Gebäude nicht unbedingt bräuchte. Warum etwa konstruiert man Trafohäuschen so unterschiedlich, wenn theoretisch eine universelle Form genügt?

Fotografie aus dem Bildband "Atlas of Forms"

Es ist ein rätselhafter Atlas. Ohne ein einziges Wort der Erklärung erscheint dieser und hinterlässt viele Fragen: Aus welcher Zeit sind die Fotografien? Wo befinden sich die Bauwerke? Existieren diese überhaupt noch? Bewusst hält Tabuchi die Antworten im Verborgenen. Für den Fotografen selbst diente der Atlas auch als Testfeld für sein wohl größtes Werk, dem »Atlas der Naturregionen«. In diesem einzigartigen Unterfangen haben er und seine Partnerin sich zum Ziel gesetzt, alle 450 Naturregionen Frankreichs im selben Stil zu dokumentieren. Ein Mammutprojekt, welches insgesamt 16 Jahre Arbeit umfasst und eine gewaltige Bestandsaufnahme der Architektur im französisch-ländlichen Raum darstellt.

Doch was treibt Tabuchi an? Einerseits könnte man seine Arbeit als großzügigen Gefallen für die Allgemeinheit deuten, die Vielfältigkeit der Alltagsarchitektur erst sichtbar zu machen. Andererseits steckt dahinter auch eine sehr persönliche Geschichte. “Da mein Vater japanischer und meine Mutter dänischer Abstammung ist, habe ich die Architektur eh und je als Metapher für den Aufbau einer Identität betrachtet. Soweit ich mich erinnern kann, war ich schon immer fasziniert – nicht unbedingt von der Architektur selbst, sondern von der konkreten Idee des Bauens. Für mich ist das Bauen eine Möglichkeit, sich selbst zu bauen.“

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