Um drei Ecken gedacht
Das Dreieck als wegweisende Form
Autor: Dave Großmann, Künstler und Redakteur an den Schnittstellen von Design, Kunst und Architektur
Kaum eine andere Figur ist so widersprüchlich wie das Dreieck — einerseits kommt es vertraut daher, andererseits auch mysteriös. Doch was genau bedeutet das für die Architektur? Ein Überblick.
Es gibt gewisse Formen, die tauchen in der Architektur einfach überall auf. Das Dreieck gehört allerdings nicht dazu. Schaut man sich um, fällt zunächst die Omnipräsenz des Rechtecks auf. Alles ist wunderbar starr im rechten Winkel. Dass wir in unseren vier Wänden sitzen können, setzt Quader voraus. Wohnflächen mit spitzen Winkeln? Auch in Zukunft wird man sich diese Idee wohl eher verkneifen. Fenster mit nur drei Seiten konnten sich bisher ebenso wenig durchsetzen. Man muss das Dreieck schon suchen: Auf den ersten Blick scheint es für die Architektur nicht gerade praktisch zu sein.
An dieser Stelle möchte wohl jedes Kind widersprechen. Das Haus braucht doch ein Dach! Man hat es sofort vor Augen, das obligatorische rote Dreieck in ersten naiven Kinderzeichnungen. Egal ob Sattel-, Zelt- oder Pultdach: das Dreieck hat sich dort in verschiedenen Typen bewährt. Dabei prägt es die Erscheinung der meisten Häuser ebenso sehr wie unsere abstrakte Vorstellung von einem Zuhause. Nicht grundlos unterscheiden sich selbst designaffine Piktogramme auf den Homebuttons nur wenig von den Skizzen aus Kinderhand. Auf die Spitze getrieben, ist das „Nurdachhaus“ ein sehr deutliches Beispiel für den Einfluss des Dachs auf die Gesamtwirkung des Gebäudes. Ein plötzlich aufkommendes Gefühl von Gemütlichkeit lässt sich beim Anblick dieser Bauform wohl kaum abstreiten.
Ästhetisch wirkungsvoll
Das Dreieck wirkt - und zwar sehr unterschiedlich. Die Winkel definieren dabei die Wirkung: So nehmen wir spitze Winkel aggressiver und gefährlicher wahr, die Assoziation mit Stacheln oder Klingen liegt nah. Gleichzeitig können spitze Dreiecke auf die Architektur angewandt sehr dynamisch und futuristisch erscheinen, während regelmäßige Dreiecke eher Ruhe und Stabilität ausstrahlen. Eine ganz eigenartige Wirkung haben Pyramiden auf uns: Wenn die Seitenflächen in einem kleinen Punkt weit über unseren Köpfen zusammentreffen, können wir gar nicht anders, als dieser Form des Bauwerks etwas Sakrales zu zuschreiben. Ob heilig oder nicht - die Pyramide war oftmals nur einer Person gewidmet und in ihrer Bedeutung sehr aufgeladen. Kein Wunder, dass sich in einer liberalen Gesellschaft kaum einer mehr an diese gewagte Form herantraut. Auch die Glaspyramide des Louvre kam nicht ohne Spott davon.
Stabil in Strukturen
Die Wirkung des Dreiecks entfaltet sich nicht nur im ästhetischen, sondern auch im praktischen Sinne. Schon die Baumeister der Antike wussten sich mit der dreieckigen Setzwaage zu helfen, dem historischem Vorgänger der Wasserwaage. Pythagoras predigt Schülern noch heute die nahezu magische Geometrie des Dreiecks. Jede Fläche und jeder Körper lässt sich in Polygone zerlegen - ein Vorteil, den sich auch die 3D-Modellierung zu eigen macht. Auf die Architektur angewandt, können dank dieser Eigenschaft schwungvolle organische Oberflächen realisiert werden, ohne das Material selbst verbiegen zu müssen. So ist die Schale der geodätischen Kuppel ausschließlich aus Dreiecken zusammengesetzt. Hierbei gilt: Je feiner die Raster, desto weicher die Rundung.
Das Dreieck - und vor allem das Raster aus diesem - zeichnet sich durch die gleichmäßige Druckverteilung aus. Somit gilt es als eine der stabilsten Formen. Wem schon mal ein Regal zusammengestürzt ist, der wird auf diagonale Streben nicht mehr verzichten. Ebenso wenig kommen Fachwerke aller Art nicht ohne die grundlegende Dreieckstruktur aus. Egal ob Brücken, Dächer, Hochspannungsmasten oder klassische Fachwerkhäuser - soll etwas stabil sein, ist auf das Dreieck Verlass. Kleine Kinder können diese Erfahrung bereits früh auf dem Dreirad machen, während Fotografen ihre teure Technik den drei schlanken Beinen eines Stativs anvertrauen.
Hilfreich in der Planung
Bereits in der Planungsphase ist das Dreieck von Bedeutung: Zwei Seiten eines Dreiecks etwa, sind in der Summe immer länger als die dritte Seite. In anderen Worten: Manch ein Trampelpfad ist der kürzere Weg, statt angelegte Wege im Winkel zu gehen. Darüber denken wir selbstverständlich nicht nach, doch unsere Intuition steuert uns genau nach dieser geometrischen Tatsache: Stichwort User Experience. Anhand solcher Pfade konnten Stadtplaner viel über eine effiziente Straßenführung lernen. Im Alltag ist in der Küche eine Anordnung von Herd, Spüle und Kühlschrank zu einem Arbeitsdreieck sinnvoll, um schnelle Wege und Handgriffe zu ermöglichen.
Markant in der Erscheinung
Trotz aller Vorteile, bleibt es eine paradoxe Form. Während sie aus Bereichen wie der Konstruktion nicht wegzudenken ist, gilt sie in bestimmten Bereichen der Gestaltung nach wie vor exotisch. Ein Hauch von Science-Fiction. Natürlich gibt es sie, die polygonen Fenster, Fassaden und Grundrisse. Doch Bauten, wie das Flatiron Building in Manhattan haben sich in mehr als 100 Jahren nicht als Maßstab durchgesetzt. Vielleicht bleibt das Dreieck auch in Zukunft nur repräsentativen Gebäuden vorenthalten. In jedem Fall werden seine Spitzen auch weiterhin buchstäblich richtungsweisend sein.
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