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Kreativ ohne Perspektive

Das Fehlen von Raumtiefe, die Betonung von Linie und Flüchtigkeit als Stilmittel und Inspiration. Die künstlerischen Prinzipien der japanischen Ukiyo-e Künstler beeinflussten schon die Pariser Avantgarde im 19. Jahrhundert und den Holzschnitt von Alex Diamond heute.

Holzschnitt von Alex Diamond (Jörg Heikhaus) für Geberit: „The three Waterfalls“ (2020). 30 x 40 cm, Acrylfarbe und Holz

Ein Gastbeitrag von Jörg Heikhaus aka Alex Diamond

Jörg Heikhaus aka Alex Diamond in seinem Atelier

Jeder kennt sie: die “Die große Welle vor Kanagawa“, der legendäre Holzschnitt von Katsushika Hokusai und das nach Leonardo DaVinci’s „Mona Lisa“ vermutlich bekannteste Kunstwerk der Geschichte. Mich hat sie in meiner Arbeit schon sehr früh beeinflusst, aufgrund ihrer grafischen Linienführung und beeindruckenden Präsenz, vor allem als junger Erwachsener, als ich noch davon geträumt habe, Comiczeichner zu werden und die Vertreter der Stilrichtung „Ligne Claire“ wie zum Beispiel Hergé (Tim und Struppi) oder Yves Chaland (Freddy Lombard), und später dann auch ein Mike Mignola (Hellboy) mit seinem kantigen Strich meine Helden waren.

Comiczeichner bin ich ja nun nicht geworden, aber figurativ und in der Konturführung reduziert ist meine Arbeit als Künstler bereits von Anbeginn. Als ich um 2011 herum schließlich mit dem Holzschnitt begann, war das Werk des wohl berühmtesten japanischen Künstlers Hokusai (1790-1849) Inspiration und Vorbild zugleich, was man den Werken aus dieser Schaffensphase auch deutlich ansieht. Im Gegensatz zu meinen jeweils als Unikat angelegten Holzbildern, die eine Verbindung aus Malerei und Schnitzhandwerk sind, hatte Hokusai den Holzschnitt für den Druck genutzt, „Die große Welle vor Kanagawa“ zum Beispiel ist Teil der hundertfach aufgelegten Blätter aus der Serie „36 Ansichten des Berges Fuji“. Diese Kunstrichtung erhielt in Japan damals die Bezeichnung Ukiyo-e, was übersetzt „fließende Welt“ bedeutet und damit vor allem „die Welt des Vergnügens und der Sinnesfreude“* beschreibt.

(*aus: Friedrich Schwan, Handbuch Japanischer Holzschnitt)

„Die große Welle vor Kanagawa“ von Katsushika Hokusai. Aus der Serie „35 Ansichten des Bergs Fuji“ (1829 – 1833)

Über die Jahre habe ich meine Technik erweitert und teils hochkomplexe, vielschichtig angelegte Holzskulpturen gebaut, die zwar von den Motiven her vollkommen losgelöst vom japanischen Holzschnitt sind, in denen aber immer noch einige Grundprinzipien von Hokusai Anwendung finden. Zum einen ist da der Umgang mit Perspektive beziehungsweise der Verzicht darauf. Eine Besonderheit, die auch die Künstler der modernen Malerei im Europa des späteren 19. Jahrhunderts zu schätzen wussten, als sie, allen voran Édouard Manet und die Gebrüder van Gogh, mit dem Sammeln der exotischen japanischen Drucke begannen und sich diese Begeisterung für den Japonismus in den Bildern der Impressionisten niederschlug. Zum einen sicherlich aufgrund der aufkeimenden Faszination dieser Zeit für ein Land, das gerade erst seine Isolation vom Rest der Welt beendet hatte, zum anderen aber eben auch durch der Einfluss künstlerischer Prinzipien wie Fläche, Betonung der Linie, das Fehlen von Raumtiefe und Zentralperspektive. Von van Gogh oder Manet gibt es einige Ölgemälde, die deutlich den Drucken Hokusais oder Hiroshiges, einem weiteren bedeutenden Vertreter der „fließenden Welt“, nachempfunden sind. Van Goghs „Blühender Pflaumenbaum nach Hiroshige“ nimmt sogar schon im Titel Bezug auf die Herkunft des Motivs und die Umsetzung ist entsprechend.

„Der Wasserfall von Amida an der Kiso Straße“ von. Aus der Serie: Eine Reise zu den Wasserfällen Japans“ (1834-35) von

Die Flächigkeit, die starke Linienführung und das Weglassen von Perspektive sind dabei keine handwerkliche Unzulänglichkeit, sondern wichtige Stilmittel. Und auch über die reine künstlerische Komponente hinaus befreit dies von Einschränkungen – wer sich zum Beispiel in kreativen Findungsprozessen bereits an starren Vorgaben abarbeitet, hat möglicherweise weniger Spielraum für die Entfaltung von Ideen. Ein Ansatz, dem eben nicht nur in der Kunst Bedeutung zukommt, sondern der sich auch auf viele andere Arbeitswelten anwenden lässt und mit Sicherheit auch in der Architektur – zumindest bei der Entwicklung von Raumkonzepten oder Linienführung. In meinem ganz persönlichen Fall dient es mir bei Komposition und Bildaufbau, ähnlich wie bei den Ukiyo-e Künstlern. Die Reduktion schafft eine Offenheit und Platz, nicht nur auf der Holztafel selber, sondern auch bei der Geschichte, die ich erzähle. Der Holzschnitt kann sich frei entfalten, meist genügt mir eine kleine Ideenskizze, der Rest geschieht während des Schnitzvorgangs, fast schon organisch.

Bei meiner aktuellen Serie von Holzschnitten als Grundlage für eine Edition von Geberit Sigma50-Betätigungsplatten habe ich mich wieder zurückbesonnen auf meine Anfänge, als die Nähe zu Hokusai und Co. noch sehr deutlich war. Heute wie damals war das auch so gewollt, es geht bei solchen handwerklichen und thematischen Zitaten ja auch immer um eine Verbeugung vor dem Ursprung. Das erste Bild dieser Serie heißt „The three waterfalls“ und zeigt eine ins Schwarz geschnittene Berglandschaft mit drei Wasserfällen. Es handelt sich um drei unterschiedlich hohe Fälle, die klar und breit herabstürzen. An der Bergkante stehen drei Männer mit Hüten, die unterschiedliche Speere tragen – ihre Werkzeuge zum Fang der Fische, die sie in den Flüssen oberhalb der Wasserfälle jagen. In diesem Bild verharren sie in innerer Ruhe, stützen sich auf ihre Speere und schauen über die Landschaft. Im Hintergrund sieht man in weiter Ferne einen Gebirgszug. Grafisch, perspektivisch aber auch philosophisch ist dieses Bild inspiriert von den japanischen Vorbildern, zum Beispiel Hokusai’s „Der Wasserfall von Amida an der Kiso Straße“.

Das Bild soll eine tiefe Ruhe ausstrahlen. Auch wenn Wasserfälle natürlich alles andere als ruhig sind, so stürzen sie hier doch sehr gleichmäßig in die Tiefe. Die drei Fischer, die in ihrer Arbeit innehalten und je einen der drei Wasserfälle symbolisieren, stehen für Besinnung und Achtsamkeit – auf die Natur, die Umwelt, aber auch auf das eigene Ich.

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