Sarah Oppenheimer Bewegte Räume

Die Künstlerin Sara Oppenheimer verwandelt den White Cube in empfindliche Maschinen und erklärt, wie nah Kunst und Architektur beieinander liegen können. In dem sie sich ähnlichen Fragen und Herausforderungen stellt, baut sie die Ausstellungsarchitektur selbst zum Kunstwerk um. Wie gelingt ihr der Spagat zwischen Raumforschung und Hightech-Spielplatz?

Ein Gastbeitrag von Dave Großmann

Sarah Oppenheimer

Kunst braucht Raum. Und wertvolle Kunst braucht besonders anspruchsvolle Räume. In den Museen und Galerien der Welt hat sich mit dem White Cube ein Ausstellungskonzept durchgesetzt, welches diesen hohen Ansprüchen am ehesten gerecht werden soll. Im Prinzip beschreibt er eine möglichst minimale Ausstellungsarchitektur mit weißen, leeren Wänden: Der Raum sollte sich so weit wie möglich zurücknehmen, um den Fokus ungestört auf die Kunst zu lenken. Trotzdem sieht keine Galerie genauso aus wie eine andere. Jede Institution hat ihren ganz eigenen Ansatz, das Konzept umzusetzen. Insofern ist der White Cube ein Ideal, der Archetyp eines Ausstellungsraums. Doch das Prinzip ist unter Künstler:innen hinterfragt und wurde in vielen Werken thematisiert oder ironisch auf die Spitze getrieben. Denn trotz aller Einfachheit ist der White Cube ein Raum voller Spannungen.

Sarah Oppenheimer

Auch die US-Amerikanische Künstlerin Sarah Oppenheimer erkennt die Spannung in zeitgenössischer Ausstellungsarchitektur – jedoch mit aller Faszination. Die Künstlerin ist sich bewusst über die verschlungenen Systeme hinter den Wänden, welche die Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit konstant halten, Erschütterungen wahrnehmen, Alarm schlagen müssen. Gerade im Minimalismus der Architektur und den hohen technischen Anforderungen, um die ausgestellte Kunst zu schützen, entsteht für Oppenheimer ein spannendes Zusammenspiel. Sie versteht das Museum als komplexe Maschine und möchte eine ganz neue Perspektive auf den Ausstellungsort eröffnen. Ihre Absichten ähneln im Grunde denen von Architekt:innen – es geht um ein bewusstes Wahrnehmen des Raumes. Der Unterschied ist: Ihre Erlebnisse sind nicht funktional, sondern fordern heraus, teils verwirrend und in jedem Fall verspielt.

Für Oppenheimer ist Architektur alles andere als statisch. Neben den physischen Grenzen, wie Wänden, Decken und Säulen, spielen in ihren Arbeiten auch die immateriellen Elemente eine große Rolle. Blickachsen, Menschengruppen oder der Verlauf des Tageslichts sind ständig in Bewegung und sind Teil der Installation. Nichts steht still. Die Art und Weise wie Oppenheimer diese Dynamiken beeinflusst, unterliegt einer einfachen Erkenntnis. Sie hat erkannt, dass jedes Gebäude aus einer Vielzahl an unterschiedlichen »Schaltern« besteht. Türen, Fenster oder Beleuchtung markieren in diesem Sinne immer zwei Zustände: an – aus; offen oder geschlossen. Dieser simple Gedanke inspirierte sie dazu, selbst interaktive Schalter zu installieren, um das Verhalten der Besucher zu beeinflussen und diese durch den Raum zu lenken. Besonders zeitgenössische Museumsarchitektur mit ihren fluiden Raumkonzepten bietet hierfür eine geeignete Fläche. Einerseits sind so immer wieder neue Ausstellungssituationen möglich, andererseits können sich Besucherströme organisch und ohne lineare Leitkonzepte frei durch das Gebäude bewegen. Der Reiz für die Künstlerin besteht darin, diese Wege mit Hilfe ihrer »Switches« zu lenken.

Sarah Oppenheimer

Dabei stützt sie ihre Installationen vor allem auf rotierende Körper aus Glas und Aluminium. Ihr Material erlaubt das Spiel mit zwei Zuständen: Aus bestimmten Winkeln erscheint das eingesetzte Fensterglas entweder spiegelnd oder transparent. Die Reflektion kann durch Drehung wie ein Schalter an- oder ausgeschaltet werden. Wie eine Schleuse markieren die kubistischen Körper Hindernisse oder Durchgänge – mal werden sie penibel an das wandernde Tageslicht angepasst, mal steuern Besucher:innen selbst die Ausrichtung. Auch die Rotation spielt in diesem Mechanismus eine entscheidende Rolle. Objekte, die sich um eine zentrale Achse drehen, sind einfach zu verstehen, wie im Falle einer Drehtür. Die Wahrnehmung ändert sich jedoch radikal, sobald Körper um eine diagonale Achse abseits des Schwerpunkts rotieren – die Bewegung ist schwer vorhersehbar, sodass einem durchaus schwindelig werden kann. Die Künstlerin arbeitet immer wieder mit sehr komplexen Drehmechanismen und fordert damit sowohl den Betrachter, als auch ihr Ingenieurteam heraus.

Sarah Oppenheimer

Oppenheimers Arbeiten entwickelten sich von einfachen Schaltern hin zu komplexen Schaltsystemen, die den gesamten Raum bewegen. Die jüngsten Arbeiten der Künstlerin gleichen einer raumübergreifenden Choreografie, bei denen ganze Wände, Schleusen und Beleuchtung miteinander verzahnt sind und von den Besucher:innen gesteuert werden. Was normalerweise als absolutes Tabu gilt, ist in ihren Installationen unentbehrlich: Die Berührung der Kunst. Erst durch die Berührung gerät die Maschine in Bewegung und man selbst wird Teil von dieser. Ein Spielplatz für Erwachsene. Auf diese Weise sind Oppenheimers Ausstellungen zugänglich und bleiben dennoch anspruchsvoll. Denn je größer das Verständnis für die Komplexität des Raumes ist, desto mehr Genuss kann man an ihren Arbeiten erfahren. Kunst braucht Raum, gewiss. Doch Raum braucht auch Kunst, um diesen im Detail zu begreifen.

Sara Oppenheimer
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